ASTRID KÖHLER

„Man sieht, was man sieht“

Astrid Köhler wäre auch eine großartige Kunstfälscherin geworden. Nicht nur ihr technisches Können, auch ihre Fähigkeit, malerische Formen, Themen und Stile aufzugreifen und sich anzuverwandeln, erschließt sich selbst Unkundigen auf den ersten Blick. Ihre Bilder sind so gut gemalt, dass niemand auf die Idee käme, sie sein Kind einfach so nachmalen zu lassen wie einen Picasso.

Doch Astrid Köhler begnügt sich nicht mit Reproduktion – weder mit der täuschend echten Wiedergabe bekannter Werke noch mit der realitätsgetreuen Abbildung von Faltenwurf und Zündholzkopf, Tierkinderfell und Federkleid. Stattdessen tragen ihre Porträtierten Papiertüten auf dem Kopf, ihre Fruchtstillleben Mullbinde – und Bilder und Werkgruppen mitunter ironische Titel. Ein solches Brechen von künstlerischen Traditionen durch das Motiv, die Subversion der schönen, bis ins Detail perfekten Darstellung durch ein inkongruentes, widerständiges Element und die Verbindung von hoher Virtuosität und „niedrigen“ Gegenständen ist in vielen ihrer Werke zu sehen – etwa an den knittrigen Taschentüchern auf altem Papier oder Tapete, die ebenso an den Manierismus denken lassen wie an ein Bügeleisen.

Diese Rückbindung der Kunst an das tägliche Leben, die Rückführung des Objet trouvé in den Küchenalltag ist vermutlich ein weiterer Grund, warum Astrid Köhlers Bilder so zugänglich sind – und bei aller Meisterschaft so sympathisch unprätentiös. Sie sprechen spontan an, und man kann sie sich über dem eigenen Sofa ebenso gut vorstellen wie im Museum. Dabei sind die Bilder keineswegs süßlich und harmlos. In ihnen steckt stets auch eine Spannung, die zwischen diffuser Doppelbödigkeit und offener Surrealität schwankt. So haftet dem Graffiti-Balken der Crossed-out-Gruppe etwas Gewalttätiges an, die mit Schwung über die fein gemalten Vogelkörper gesprayte Spur roter Tröpfchen kann auch blutige Assoziationen hervorrufen. Aber wer von Astrid Köhlers Bildern auf den ersten Blick entzückt sein möchte, macht nichts verkehrt. Wer allerdings mehr darin sehen will als außergewöhnliches Können und hohe malerische Intelligenz, wird auch bei längerem Hinsehen nicht enttäuscht.

Sven Koch